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Januar 2024, Werkstattbrief Nr.
1
Liebe Leserin, lieber Leser
Die Kunstwerkstatt Waldau informiert neu in
unregelmässigen Abständen mit einem Werkstattbrief
(Newsletter). Hier der erste über die Ausstellung
"Best of" im Berner Progr. Anlass war das
20-jährige Bestehen der Werkstatt.
Inhalt:
l Zwei Künstlerinnen der Werkstatt
haben die Ausstellung selbst
kuratiert und organisiert. Alle
Teilnehmenden profitieren von besseren
Bedingungen als sonst in Galerien
üblich..
l Die Infos zur
Ausstellung und die neue
Ausrichtung des Kulturlokals Progr.
l Die Schülerinnen und Schüler,
die hier früher lernten, ärgerten sich über
Gomere. Wir lösen
das Sprachrätsel. Zuletzt:die Kunstwerkstatt
Waldau.
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Kunst ausserhalb
der Schubladen
Noch bis am 26.
Januar 2024 stellen Kunstschaffende aus der
Kunstwerkstatt Waldau im Kulturpunkt im Berner
Progr aus. Wie soll man ihre Werke bezeichnen?
Art brut? Outside Art? Am besten einfach als
Kunst ohne Grenzen.
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Sonia Straub mit zwei
ihrer Werke ►
Sonia Straub strichelt. Mit schwarzer Tusche und
der Schreibfeder setzt sie tausende mal feine, mal
dickere Linien aufs Papier. Und Sonia Straub hütet.
Sie arbeitet an ihrem Werk und beaufsichtigt
gleichzeitig die Ausstellung "Best of" im
Kulturpunkt im Berner Progr. Sie zeigt hier mit
fünfzehn Kunstschaffenden aus der Kunstwerkstatt
Waldau und mit Raphael Reift ihre Arbeiten. "Nein",
sagt Sonia Straub, "dieses minutiöse Zeichnen
strapaziert nicht meine Geduld. Im Gegenteil. Es
hat was Meditatives."
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Sonia Straub hat mit Rebecca Schmid und Claude
Haltmeyer, dem Betreiber von Kulturpunkt, die
Ausstellung kuratiert. Auch Schmid gehört zum
Kunstwerkstatt-Team. Anlass zur Ausstellung
ist das 20-jährige Bestehen der Kunstwerkstatt.
"Best of" heisst die Ausstellung. Superlative sind
ein Versprechen. Einlösen wollen es Emma
Baya, Jann Briner, Regina Eichenberger, Martin
Flückiger, Elmar Hempel, Adrian Lanz, Caroline Mas,
Tom Mosimann, Anita Nydegger, Raphael Reift, Heinz
Ruch, Flo, Rebecca Schmid, Dorota Solarska, Sonia
Straub, WomB.
▼ Rebecca Schmid mit "Beauty and the Beast".
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Die
Kunstschaffenden organisieren sich
selber
In den konventionellen Galerien liefert der
Künstler die Werke ab, die Galeristin wählt aus und
beide bestimmen zusammen die Preise. Die Galerie
besorgt alles weitere. Bei der aktuellen
Ausstellung im Kulturpunkt funktioniert dies
anders. Die Kunstschaffenden, vertreten durch
Rebecca Schmid und Sonja Straub, übernehmen mehr
Verantwortung und organisieren zum Bespiel den
Hütedienst. Jeden Nachmittag von Donnerstag bis
Samstag ist ein Künstler, eine Künstlerin anwesend.
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Vor der Vernissage am 15. Dezember 2023.
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An der Vernissage im Kulturpunkt im Progr.
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Mehr Geld für die
Ausstellenden
"Best of" ist eine Verkaufsausstellung. Die Preise
liegen zwischen 250 und 1800 Franken. Herkömmliche
Galerien hocken aufs Maul, wenns um ihre
Beteiligung am Verkaufserlös geht. Immerhin gilt
als gesichert, dass zwischen 50 und 60 Prozent in
der Galerie bleiben. Kulturpunkt und die
Kunstschaffenden sind transparenter. 10 Prozent vom
Werkerlös gehen an die Kunstwerkstatt Waldau. Wer
dort an einem Förderprogramm teilnimmt, muss
zusätzlich weitere 5 Prozent abtreten. Der
Kulturpunkt erhält 30 Prozent und bezahlt damit
unter anderem die Agendaeinträge in den Medien und
den Flyer. Die Kunstschaffenden erhalten hier also
mehr.
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Offen: Bis 26. Januar 2024.
Donnerstag und Freitag, 14 bis 18 Uhr; Samstag 14
bis 17 Uhr. Eintritt frei.
Galerienwochenende 13. und 14
Januar, 11 bis 17 Uhr. Finissage
26. Januar 16 bis 19 Uhr, 18 Uhr Lesung mit Dorota
Solarska, Raphael Reift und Rolf Schulz
(Performner), Kollekte. Kulturpunkt im Progr,
Speichergasse 4, 3000 Bern.
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Das Progr war ein Schulhaus. Heute sind hier
Ateliers, Veranstaltungslokale und Gastgewerbe.
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Der Hof ist vor allem iin den warmen Monaten ein
beliebter Treffpunkt.
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Weniger Halligalli
als bisher, dafür mehr Kultur
Der Progr will künftig weniger als Teil der Berner
Ausgehszene wahrgenommen werden und möchte vermehrt
als Kulturlokal in Erscheinung treten.
Das 1885 erstellte Gebäude wurde erst als Gymnasium
genutzt. 1926 zog die Schule in einen neuen Bau im
Kirchenfeldquartier. Das Haus in der Berner
Innenstadt diente nun als Primarschule und
Untergymnasium (Progymnasium, "Progr"), Später
kamen weitere, auch Berufsschulen dazu. Nach
dieser schulischen Nutzung entstand ab 2004 ein
vorerst provisorisches Atelier-, Kultur- und
Veranstaltungshaus. Seit 2009 gehört das Progr
definitiv zum Berner Kulturbetrieb. In den letzten
Jahren hat sich das Prog immer mehr zu einem
Ausgehort verändert. Die Stiftung Progr, die das
Künstlerhaus verwaltet, will sich nun mit einem
neuen Konzept mehr auf kulturelle Angebote
ausrichten.
Der Progr liegt nahe bei Berns Ausgehmeile, der
umstrittenen Aarbergergasse, und nahe bei der
vieldiskutierten Reitschule: Um es zurückhaltend zu
formulieren: Das verwirrt manche, die mit der
Kulturszene wenig und mit der Partyszene gar nichts
am Hut haben. Das Progr ist zum Teil selbst schuld
an dieser Zuordnung. Der Ort ist gegen aussen zu
einem Teil des nächtlichen Ausgehbetriebs geworden.
Die Stiftung Progr will denn auch korrigieren und
das Kulturangebot stärker in den Vordergrund
rücken.
Abendbesuch der Kulturwerkstatt im Progr. Wir
lassen einen Bekannten vorangehen und nennen ihn
Ändu. Mit Kultur hat er nicht viel am Hut. Ändu ist
40 und damit im reiferen Ausgehalter. "Ich gehe
gerne ins Progr", sagt er. Verglichen mit der
Aarbergasse sei es ruhig. "Gute Leute, keine
Gewalt." Der bedeutend ältere Verfasser dieses
Werkstattbriefs bestätigt Ändus Einschätzung. Der
Geräuschpegel ist mitunter hoch, die Ambiance
trotzdem zurückhaltend, die Konsumationspreise
ebenfalls.
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Im Progr gabs
einst Gomere, Physere, Gogere
Dialekt in die Bundesstadt holen, ist wie Bären
nach Bern bringen. Aber vielleicht hats ja unter
der Werkstattbrief-Leserschaft, Leute, die sich
nicht mehr so genau an ihre Schuljahre
erinnern.
Seit bald zwanzig arbeiten Kunstschaffende im
Progr, dem ehemaligen Progymnasium. Bis in die
Sechzigerjahre lernten hier elf- bis zwölfjährige
Schülerinnen und Schüler. Viele waren stramme
Bernerinnen und Berner. Mit dem entsprechenden
Mundwerk.
Wir gehen auf Zeitreise in die Sechziger und
treffen vor dem Progr-Haupteingang auf zwei Modis
und zwei Giele. Einer ist Hene (Heinz). Heute
morgen hat er Gogere (Geographie). Vanä (Vanessa)
blickt mürrisch. Handsche (Handarbeiten) steht auf
ihrem Stundenplan. Sebe (Sebastian) hats gäbig. Er
hat eine Zwischenstunde und steuert die Biblere an
(Bibliothek). So ein Streber. Fräne (Franziska) ist
gut gelaunt. Sie hat alle Ufere (Haus-Aufgaben)
gemacht und der Vormittag macht ihr keine Sorgen.
Gomere-Leischt (Geographie-Lehrer) Abächerli
ist eine Gmüetsmore. Nachher allerdings wirds
struber: Physere (Physik).
* OmG, oh my God, Jugendsprache, wird angewendet
für - alles.
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Die alte Scheune wird von den Künstlerinnen und
Künstlern der Werkstatt als gemeinsames Atelier
benutzt.
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Auf dem
Waldau-Gelände, aber unabhängig
Der Verein Kunstwerkstatt besteht aus über 40
Kunstschaffenden und über 185 Mitgliedern. Die
Kunstwerkstatt ist jede Woche an mehreren Halbtagen
geöffnet; Kunstschaffende verbringen jährlich etwa
5000 Stunden hier. Die Kunstschaffenden vereint,
dass sie Psychiatrieerfahrung haben. Der
Verein stellt sämtliche Materialien unentgeltlich
zur Verfügung. Freiwillige betreuen das Atelier. Es
liegt auf dem Gelände der Universitären
Psychiatrischen Dienste Waldau (UPD). Der Verein
ist aber unabhängig von der UPD.
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Konzept und Text: Peter Steiger. Fotos: Ruedi
Franz, Martin Bichsel, Peter Steiger.
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